Die klassische Homöopathie ist in meinen Augen die Allgemeinmedizin par excellence, erstreckt sich doch ihr Wirkbereich von der Betreuung von Schwangeren über die Begleitung von Säuglingen, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen bis hin zur Behandlung von langen und schweren chronischen Krankheiten bei Erwachsenen und alten Menschen. Sogar die Begleitung von Sterbenden ist ein dankbares Feld der klassischen Homöopathie.
Die Gebiete sind völlig unterschiedlich, die Methode ist die gleiche: aufgrund der Totalität der vorliegenden auffallenden, charakteristischen Symptome die passende, d.h. homöopathische Arznei zu finden, sei es für eine akute Störung, sei es für das chronische Leiden.
Je akuter und deutlicher die Symptome des Patienten sind, desto weniger Zeit nimmt die Arzneisuche in Anspruch und desto schneller tritt Linderung ein, wenn die Arznei richtig gewählt ist.
Und je schwerer und chronischer eine Krankheit ist, je mehr unterdrückende Behandlungen schon durchgeführt worden waren, je mehr psychosoziale Belastungen eine Rolle spielen, desto komplexer und somit auch langwieriger gestaltet sich eine homöopathische Anamnese. Das ist auch gut so, denn einerseits ist es wichtig für den homöopathischen Arzt die richtige Arznei zu finden sowie einen Therapieplan festzulegen, welche anderen Arzneien evtl. auch noch in Frage kommen werden, und andererseits ist es für den Patienten / die Patientin wichtig, dass einmal seine / ihre Krankengeschichte im "Längsschnitt" gesehen wird und er / sie sich einmal alles von der Seele reden kann.
Ich plane für eine homöopathische Erstanamnese einige Stunden Zeit ein, bei Kindern dauert das Erstgespräch in der Regel ein bis zwei Stunden (bei Säuglingen kürzer, dort spielt allerdings die sog. Familienanamnese eine besonders wichtige Rolle), bei Erwachsenen je nach Schweregrad der Erkrankung zwei bis vier Stunden, manchmal auch länger. Erstaunlicherweise wird während der Anamnese oft gar nicht wahrgenommen wie viel Zeit schon vergangen ist, oft wird erst im Nachhinein eine gewisse Müdigkeit empfunden.
Mir ist es sehr wichtig, dass die Patienten / Patientinnen wissen, dass sie alles, was ihnen auf der Seele liegt, sagen dürfen, selbst wenn das scheinbar nichts mit der Krankheit, wegen der sie kommen, zu tun hat. Oft weiß man im Vorfeld nicht, wo "der Schlüssel" für die korrekte Arznei liegt. Und oft hat das Gespräch allein schon einen positiven Effekt auf die Seele, werden schon dort die ersten Impulse gesetzt, welche den Organismus in Richtung Gesundung, Ganzwerdung lenken, wie es die Psycho-Neuro-Immunologie immer mehr erkennt.
Nach dem Spontanbericht folgt der gelenkte Bericht, bei der ich Fragen stelle zu Schlaf, Ernährung, Menstruation, Familienanamnese etc.
Nach dem großen Erstgespräch, welches die Basis darstellt für eine oft mehrjährige Zusammenarbeit, erfolgt die Sammlung, Hierarchisierung und die sog. Repertorisation (Suche in großen, meist elektronischen Nachschlagewerken) der Symptome. Nach der genauen Fallanalyse wird ein Therapieplan erstellt (wenn schon sichtbar ist dass z. B. wegen gewissen Erbanlagen oder wegen vorausgegangener supressiver Therapien mehrere Arzneien nacheinander erforderlich sein werden) sowie die Parameter für die Beurteilung des Verlaufs festgelegt.
Dann erst wird die homöopathische Einzelarznei verabreicht, entweder als Einzelgabe in sog. C-Potenzen mit einer Wirkdauer von 40 bis 50 Tagen oder in flüssiger Form zur täglichen Einnahme, die sog. Q-Potenzen (s. unter Homöopathie: Was ist klassische Homöopathie?).
Gerade bei den Q-Potenzen ist es sehr wichtig, dass die Patienten /-innen sehr genau Buch führen über den Verlauf, über ihre Beobachtungen bzgl. der Entwicklung ihrer Symptome, ihres Allgemeinbefindens und ihres seelischen Zustandes. Dabei sind häufige Rückmeldungen notwendig, insbesondere am Anfang einer homöopathischen Therapie. Aber auch nach Einnahme einer Einzelarznei einer C-Potenz ist es sehr hilfreich, wenn Notizen über die eigenen Beobachtungen gemacht werden, die dann bei der Folgeanamnese nach ca. 6 bis 7 Wochen wichtige Dienste leisten.
Es mag erstaunlich klingen, dass eine Arznei so lange wirken soll, zumal wenn man sieht, wie winzig die Globuli (Arznei-Kügelchen) sind, jedoch muss man sich vergegenwärtigen dass die Homöopathie eben die "kleinstmögliche Gabe" (Hahnemann) postuliert, es geht letztlich um Information für den Organismus, welcher dann, wenn die Arznei wirklich homöopathisch zum eigenen Symptomenbild ist, in Richtung Heilung reagiert.
Je älter die Patienten /-innen sind, je länger eine chronische Krankheit dauert und je schwerer die Krankheit (u.a. Krebs) ist, desto länger wird die Behandlung insgesamt dauern. Letztlich ist eine jahrelange Begleitung sinnvoll, wobei die Gabenhäufigkeit im Laufe der Zeit immer seltener wird, ggf. nur fünf bis sechs Arzneigaben im Jahr. Das Ziel ist, dass die chronische Krankheit oder die Krankheitsdisposition, statt unbehandelt immer weiter voran zu schreiten, gestoppt wird und langsam, langsam in Richtung Gesundheit geführt wird.
Das psychotherapeutische Gespräch z. B. in schweren Lebenssituationen ist für mich eine Selbstverständlichkeit, die mir sehr am Herzen liegt. Eine konstitutionelle homöopathische Behandlung und eine einfühlsame, nicht direktive Psychotherapie ergänzen einander wunderbar, ja, sind fast untrennbar miteinander verbunden.
Dabei darf auch die spirituell-religiöse Dimension unseres Menschseins den ihr gebührenden Raum erhalten.